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#550 Die „Christus Victor“-Sühnelehre

January 15, 2018
F

Sehr geehrter Prof. Craig,

vielen Dank für Ihre gute Arbeit, die mir sehr geholfen hat, besser zu verstehen, warum wir als Christen das glauben, was wir glauben. Ich bin orthodoxer Christ, und obwohl in unserer Tradition die Vernunft erst hinter der Erfahrung des Göttlichen durch gute Werke bedingungsloser Liebe kommt, profitiere ich gewaltig von Ihrer Arbeit, wenn ich mit Menschen spreche, die für Erfahrungen weniger offen sind. Ich frage mich gerade, wie Sie über die „Christus Victor“-Sühnelehre denken. Sie scheint mir eine gute Zusammenfassung dessen zu sein, was ich mein ganzes Leben lang in meiner Kirche gehört habe. Was mir am meisten auffiel, war jedoch der deutliche Gegensatz zwischen der „gesetzlichen Kontinuität und göttlichen Diskontinuität“ der Lehre von der stellvertretenden Sühne und der „gesetzlichen Diskontinuität und göttlichen Kontinuität“ der „Christus Victor“-Lehre. Was ist da Ihre Position? Danke.

Igor

United States

Prof. Craigs Antwort


A

Es überrascht mich, wie oft mir diese Frage in der letzten Zeit gestellt wird. In der Mitte des 20. Jahrhunderts argumentierte der schwedische Theologe Gustaf Aulén, dass die Kirchenväter wie auch Luther Verfechter der sogenannten „Christus Victor“-Lehre gewesen seien.[1] Auléns Position ist kritisiert worden. Tatsache ist, dass sich bei den Kirchenvätern die ganze Palette der neutestamentlichen Motive bezüglich der Versöhnung durch Christus findet: Lösegeld, Opfer, stellvertretendes Leiden, moralisches Vorbild usw.[2] Nehmen wir z. B. die folgende Aussage des Eusebius von Cäsarea:

Das Lamm Gottes … wurde an unserer Statt gezüchtigt und erlitt eine Strafe, die es nicht verdient hatte, aber die wir wegen der Menge unserer Sünden verdient hatten. Und so wurde er zur Ursache der Vergebung unserer Sünden, da er für uns den Tod erlitt und die Geißelung, die Schmähungen und die Unehre, die uns gebührten, auf sich nahm und den für uns bestimmten Fluch auf sich herabzog und für uns zum Fluch gemacht wurde. Und was ist dies anderes als der Preis für unsere Seelen? Wie die Prophezeiung in unserer Person sagt: „Durch seine Wunden sind wir geheilt“ und: „Der Herr gab ihn für unsere Sünden dahin“ … (Demonstratio evangelica 10.1)

Hier finden wir eine Kombination von Opfer, Lösegeld und stellvertretender Sühne. Ähnliches finden wir bei Origenes, Kyrillos von Jerusalem, Johannes Chrysostomos, Kyrillos von Alexandrien und anderen.

Doch die Kirchenväter betonen auch den großen Sieg, den Christus am Kreuz errungen hat. Die „Christus Victor“-Versöhnungslehre betont den Triumph Christi über den Satan und wie er uns Menschen aus der Gefangenschaft unter der Sünde und der Verderbnis befreit hat. Die Frage ist, wie dies genau geschehen ist. Einige Kirchenväter (so Origenes und Gregorios von Nyssa) vertraten eine Lösegeldlehre, nach welcher das Leben Christi ein Lösegeld war, das Gott an den Satan zahlte, damit dieser uns freiließ. Andere Kirchenväter (z. B. Augustinus) gingen davon aus, dass der Satan überlistet wurde, Christus anzugreifen, auf den er keinerlei Rechte hatte, sodass er sein Recht auf die verlor, die zu Christus gehören. Wieder andere Kirchenväter, wie Irenäus von Lyon und Athanasius, betonten die Inkarnation (also dass Christus Mensch wurde) als das Mittel, durch das der Tod und die Sünde besiegt wurden.

Kurz: Die „Christus-Victor“-Lehre sagt uns nicht, wie es zur Sühne kam, und ich kann Albrecht Ritschl gut verstehen, wenn er moniert, dass diese Lehre eigentlich gar keine Sühnelehre sei, da sie nichts darüber aussagt, wie der Tod Christi die Sünde gesühnt und uns mit Gott versöhnt hat.[3] Die Vertreter dieser Lehre neigen im Allgemeinen dazu, sich auf die Folgen der Sünde (vor allem den Tod) und auf den Sieg über den Satan zu konzentrieren und weniger auf die Sünde selber und ihre Sühne.

Der Schwachpunkt der „Christus Victor“-Lehre ist also nicht so sehr, dass sie falsch wäre, sondern dass sie unvollständig ist; sie wird nicht allen biblischen Aussagen, die mit dem Tod Christi und dessen versöhnenden Wirkung zu tun haben, gerecht. Man sollte den Gedanken des Sieges Christi über Satan, Tod und Hölle nicht ablehnen, sondern ihn vielmehr in eine umfassende Lehre einbauen, zu der dann nicht nur das Sieges- und Erlösungsmotiv, sondern auch der Gedanke des Opfers, der Sühne für die Sünden, der Besänftigung des Zornes Gottes, der stellvertretenden Strafe, der Satisfaktion der Gerechtigkeit Gottes usw. gehören. Die Art, wie Christus die Sünde und den Tod überwindet, besteht genau darin, dass er sich als Sühneopfer vor Gott darbringt und wie der Gottesknecht in Jesaja 53 die Strafe für die Sünde, die wir verdient haben, trägt. Wie Augustinus es in seinen Bekenntnissen (Buch 10 Ende) ausdrückt: Christus ist beides: Sieger und Opfer, und er ist der Sieger, weil er das Opfer ist.

Ich weiß nicht, was Sie als orthodoxer Christ über den Sühnetod Christi gelernt haben, aber ähnlich wie Irenäus und Athanasius neigt die Orthodoxe Kirche dazu, nicht so sehr im Tod, sondern in der Inkarnation Christi das hauptsächliche Mittel zur Überwindung der Verderbtheit unseres Wesens und des Todes zu sehen; der Tod Christi ist hier lediglich der Höhepunkt seines Lebens. In dieser Sicht ist es in erster Linie die Menschwerdung der zweiten Person der Gottheit, die uns Heilung und Unsterblichkeit gebracht hat – damit geht aber die Zentralität des Kreuzes in der Evangeliumsverkündigung des Neuen Testaments verloren.

(Übers.: Dr. F. Lux)

Link to the original article in English: www.reasonablefaith.org/writings/question-answer/christus-victor-theory-of-the-atonement

 

[1] Gustaf Aulén, Christus Victor: A Historical Study of the Three Main Types of the Idea of Atonement [1931], übers. von A. G. Hebert (New York: Macmillan, 1969).

[2] Joseph F. Mitros, „Patristic Views of Christ’s Salvific Work”, in: Thought 42/43 (1967), S. 415-447.

[3] Albrecht Ritschl, A Critical History of the Christian Doctrine of Justification and Reconciliation, übers. von John S. Black (Edinburgh: Edmonston and Douglas, 1872), S. 11.

- William Lane Craig