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#300 Dahin kommen, Gott zu lieben

September 16, 2018
F

Hier ist mein Problem, Prof. Craig: Ich bin so atheistisch, wie man nur sein kann. Ich habe noch nie auch nur eine Minute lang in meinem Leben geglaubt. Wenn ich jedoch darüber als Philosoph nachdenke, muss ich zugeben, dass ich kein gutes Argument habe, um die Existenz Gottes zu widerlegen. Und mehr noch, wenn ich Online-Debatten sehe und Arbeiten lese, finde ich theistische Argumente sehr überzeugend.

Die Argumente, die Sie bringen, mit denen ich sehr vertraut bin, sind solide Argumente. Dennoch, und hier ist mein Problem, bin ich immer noch nicht überzeugt. Mehr noch, ich denke Folgendes: Was wäre, wenn ich heute Gott begegnete? Natürlich werde ich an seine Existenz glauben. Aber warum Ihn anbeten? Selbst wenn Argumente mich überzeugen, dass Gott existiert, warum sollte mich das kümmern? Entweder bete ich an, weil, wenn ich es nicht tue, Gott mich für immer quälen wird, oder ich nehme seine Freundschaft freiwillig an. Aber was ist, wenn ich nicht sein Freund sein will?

Carl

United States

Prof. Craigs Antwort


A

Wow, was für eine interessante Frage, Carl! Ich schätze wirklich Ihre Ehrlichkeit. Ihre Frage unterstreicht den Unterschied zwischen reinem Glauben an die Existenz Gottes und dem Glauben an Gott. Man könnte eine Art gleichgültiger, sogar apathischer Anerkennung der Tatsache äußern, dass Gott existiert, ohne Gott wirklich zu lieben und zu vertrauen.

Jesus lehrte, dass derjenige, dem viel vergeben wurde, viel liebt, wohingegen der, dem wenig vergeben wurde, wenig liebt (Lukas 7,40-50). Ich vermute, dass hier der Schlüssel zu Ihrer Frage liegt. Anbetung Gottes wird durch eine tiefe Dankbarkeit gegenüber Gott für seine Vergebung unserer falschen Taten entfacht. Menschen, die kein tiefes Empfinden ihrer eigenen Sündhaftigkeit haben, werden vermutlich kein großes Bedürfnis empfinden, zu Gott zu kommen. Aber zu wissen, dass Ihnen, so unwürdig wie Sie sind, selbst Ihre schlimmsten Sünden vergeben wurden und Sie für immer von Ihrer Schuld gereinigt sind, mündet spontan in Dank und Lobpreis an Gott für solch unverdiente Gunst.

Ich war stark getroffen, als Louise Anthony am Ende unserer Debatte über die Existenz Gottes bekannte, dass einer der Nachteile des Atheismus, den sie begonnen hatte zu akzeptieren, darin besteht, dass es unter dem Atheismus keine Erlösung gibt. Denken Sie einmal darüber nach! Sünde und Schuld sind wirklich unauflöslich. Nichts kann ungeschehen machen, was getan wurde, und Ihre Unschuld wiederherstellen. Aber die christliche Botschaft ist eine Botschaft der Erlösung. Darum ruft der Liedschreiber aus: „Welch‘ Glück ist’s, erlöst zu sein“.

Um also zu Gott zu kommen, denke ich, müssen Sie vielleicht über Ihre eigene Sündhaftigkeit nachdenken. C. S. Lewis hat einmal bemerkt: „Keiner weiß, wie schlecht er ist, bis er wahrhaftig versucht hat, gut zu sein.“ Der dänische Philosoph Soren Kierkegaard trifft dieselbe Aussage. Kierkegaard dachte, dass das Leben auf drei Ebenen gelebt wird. Die elementarste Ebene ist das atheistische Stadium, in dem das Leben selbstsüchtig für die Freuden, die es bietet, gelebt wird. Das Leben, das so gelebt wird, mündet letztendlich in Langeweile und Ennui. Die nächst höhere Ebene ist das ethische Stadium, in dem man nach strikten moralischen Maßstäben lebt. Aber dieses Leben führt letztendlich in die Verzweiflung, weil man dem Maßstab des moralisch Guten nicht entsprechen kann. Erst auf der höchsten Ebene, im religiösen Stadium, kann authentische Existenz wahrhaftig gefunden werden. Kierkegaard erkannte richtig, dass es das Scheitern des ethischen Lebens ist, das einen zur religiösen Ebene treibt.

Ich erinnere mich, als ich ein Nicht-Christ war und zum ersten Mal die Evangeliumsbotschaft hörte, war ich, obwohl ich ein äußerlich moralisches Leben führte, akut der Dunkelheit und Verdrehtheit in mir gewahr. Bis Sie dazu kommen, Ihre eigene Gefallenheit, Selbstsucht und Vergebungsbedürftigkeit wahrzunehmen, werden Sie vermutlich nicht geneigt sein, Gott anzubeten und ihn zu lieben.

Aber ich würde Sie ermutigen, ein wenig Kierkegaard zu lesen oder vielleicht Pascals Pensées und zu versuchen, treu nach der Goldenen Regel zu leben. Das mag helfen, in Ihnen ein akutes Empfinden dafür wach zu rufen, wie bedürftig Sie in Wahrheit sind.

(Übers.: B. Currlin)

Link to the original article in English: https://www.reasonablefaith.org/writings/question-answer/coming-to-love-god

- William Lane Craig